Die kleinen Unternehmen PAULkocht! und MARI & ANNE bieten Außenarbeitsplätze an
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- März 2025 | Gudrun Heyder | Textbeitrag
Mit schwarzverschmiertem Gesicht kam Sybille Hermeling-Kröns Tochter aus der Werkstatt nach Hause. „Ihre Aufgabe war, Gummiringe auf Tankdeckel zu befestigen. Dafür konnte sie sich nicht begeistern“, erzählt ihre Mutter. Gemeinsam mit ihrem Mann und drei weiteren Elternpaaren gründete sie einen Verein, der später zu einem Betrieb wurde. Ihre Kinder sollten dort „eine sinnvolle Wertschöpfungskette erleben“.
Die Gründung eines eigenen Unternehmens
„Die Idee entstand, als die Schulzeit unserer Kinder endete“, so Hermeling-Krön. „Wir wollten, dass unsere Kinder ihre Fähigkeiten entdecken und entwickeln.“ So entstand die gGmbH PAULkocht! in Kaarst, die Außenarbeitsplätze anbietet. Sabine Lewandowski in Kinzingen ging es ähnlich: Ihre Schwester Marina hat das Down-Syndrom und arbeitete zwölf Jahre in einer Werkstatt. „Dort war sie für die Gesellschaft einfach nicht sichtbar“, sagt Lewandowski. 2020 gründete sie mit ihrer Mutter Marianne Lewandowski MARI & ANNE – ein kleines Familienunternehmen für handgemachte Naturkosmetik. „Wir wollten Marina einen sichtbaren Platz in unserer Mitte schaffen.“
Der (Neu) Anfang
Während...
Wenn das Fahrzeug plötzlich würzig riecht…
Macht...
Feierabendbier
Unser...
Der Frosch und die Kröte
Wie...
Abschied und Willkommen
Auch das...
Masken aus der heimischen Nähstube
Wollen...
Steffi und die Gemüsebrühe
Ein...
Pia – Meine (fast) 10 schönsten Momente bei PAUL kocht
Wir...
Full House beim Kochkurs
Produktive...
„Unser“ erstes Regal !
Stolz...


Gelebte Inklusion
Die Eltern-Initiative rund um Sybille Hermeling-Krön wollte nicht nur eine Gastronomie gründen, sondern Produkte ohne künstliche Zusatzstoffe handwerklich und saisonal produzieren. PAULkocht! konnte sich – auch aufgrund der BWL- und Gastronomiekenntnisse des Ehepaars Hermeling-Krön – schnell professionalisieren und ist seit 2019 ein zertifizierter Lebensmittelproduzent. PAULkocht! betreibt eine Manufakturküche mit Bistro als „Ort gelebter Inklusion“ in Kaarst-Holzbüttgen nahe Düsseldorf. Seit 2021 vertreibt zusätzlich ein Online-Shop sämtliche Produkte wie Suppen, Fertiggerichte, Ketchup, Chutneys oder Kuchen im Glas. „Bei uns arbeiten alle im Team multifunktional. Rohstoffe wie Möhren und Kartoffeln müssen geschält und verarbeitet werden, abgefüllt und die Gläser etikettiert…“, zählt Hermeling-Krön auf. Im Bistro kann man die Produkte kaufen, es gibt es einen werktäglichen Mittagstisch sowie Catering von PAULmobil, und alle Gerichte können verpackt mitgenommen werden.
Ein diverses Team
Zurzeit arbeiten von insgesamt acht Mitarbeitenden nur zwei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bei PAUL. Es waren mal fünf und die sollen es auch wieder werden. „Zwei sind viel zu wenig, aber der Austausch mit den Werkstätten funktioniert noch nicht so richtig“, sagt Hermeling-Krön. Die Fluktuation entstehe, weil sich die Lebensumstände von Menschen mit Behinderung eben ändern können. „Wenn ich in den WfbM nachfrage, ob es Interessenten für Außenarbeitsplätze gibt, passt das oft nicht zusammen“, bedauert die Geschäftsführerin. Ziel ist, diese Kooperation zu verbessern.
Empfiehlt die engagierte Mutter anderen Familien trotz dieser Schwierigkeiten, Initiativen oder Unternehmen zu gründen? „Mich rufen oft interessierte Eltern an. Viele wollen etwas tun, aber wenige nehmen die Hürden“, lautet ihre nüchterne Bilanz. „Wir haben uns das am Anfang auch schön und romantisch vorgestellt. Aber man braucht betriebswirtschaftliche Kenntnisse, Ausdauer und Resilienz. Man muss eine Marktnische finden, es gibt viel Papierkram, man braucht Zertifizierungen.“ Soziales Engagement und die gute Absicht reichen nicht aus.


Die Region Düsseldorf wird beliefert
PAUL beliefert etwa 60 Partner in der Region Düsseldorf und Rheinland: Feinkostgeschäfte, Delis, Hofläden, sogar Edeka und Rewe. „Da steht das Produkt an erster Stelle und der soziale Aspekt an zweiter. Mitleidsmarketing machen wir nicht.“ Jede Initiative müsse schauen, wie weit sie komme, meint Hermeling-Krön. Sie und ihre Mitstreiter wollen das Thema Inklusion voranbringen: In Praktika können SchülerInnen aus Förder- und allgemeinbildenden Schulen PAUL kennenlernen und das produktive Miteinander von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen erleben. Vor zehn Jahren würdigte die IGGL-Intitiative Neuss das Engagement der „PAULaner“ mit dem Elisabeth-Preis für Inklusion.
Wie läuft’s bei MARI & ANNE?
„Wir sind MutmacherInnen“, sagt Sabine Lewandowski. „Mit unserer Manufaktur für Hautpflegeprodukte – inklusive Designatelier für Lifestyle-Produkte – möchten wir die Arbeit und das Miteinander in unserer Unterschiedlichkeit und Vielfalt bewusster gestalten.“ Sie wollte nie ein Unternehmen gründen, versichert die 39-Jährige. Aber ihre Schwester Marina, 37, sollte mehr gefördert werden. Auch bei Marina hieß der erste Weg Förderschule und dann Werkstatt. 12 Jahre war sie in den Mainfränkischen Werkstätten tätig. „Ihre Kontakte hatte sie immer nur dort, schon im separaten Bus hat man keinen gewöhnlichen Schulweg, geht nicht zum Bäcker oder trifft andere Menschen.“
Bei MARI & ANNE hat Marina über die Mainfränkischen Werkstätten nun einen festen Außenarbeitsplatz. „Ein inklusive Stelle hätte bedeutet, dass sie nicht zurück in die Werkstatt kann, falls wir als junges Unternehmen scheitern, zudem hätte Marina ihren Anspruch auf Rente nach 20 Jahren Arbeit verloren und über das Maß ihrer Leistung sehr viel mehr verdienen müssen, um später eine auskömmliche Rente zu bekommen.“ All das geht für das Mini-Unternehmen nicht.
In den 90er Jahren begann die gelernte Krankenschwester Marianne Salben und Seifen auf Naturbasis herzustellen. Seit 2020 vertreibt das Unternehmen im Online-Shop vegane und vegetarische, tierversuchsfreie Pflegeprodukte mit dem Hauptbestandteil Traubenkernöl. Mutter, Töchter, drei Angestellte sowie sechs Aushilfen arbeiten zusammen, wobei Marinas intensive Förderung im Mittelpunkt steht. Hier könne man ihre individuellen Begabungen fördern und sie aktiv und selbstverständlich in das Geschäftsleben einbinden. Das spiegele sich auch in den Namen und Designs der Produkte wider.


Nicht allein Kosmetik…
„Marina kann nur einzelne Buchstaben lesen und schreiben. Inzwischen unterschreibt sie per Hand alle Dankeschön-Karten für KundInnen und hat mit mir mittlerweile über 100 Postkartenmotive entworfen, die es ebenfalls im Shop gibt“, erzählt Sabine Lewandowki, Grafikdesignerin und Fotografin. Marina sei bei MARI & ANNE „geistig aufgewacht“. „Zum Beispiel hatte sie die Idee, aus ihrer Handschrift einen Stempel zu machen, damit die Arbeit schneller geht. Und sie arbeitet nebenher als Model, was ihr viel Spaß macht.“ Inzwischen begleitet sie Sabine auch auf Händlermessen, Endverbrauchermessen sind zu anstrengend. „Bei den Händlermessen ist Marina auf einem dreimal zwei Meter großen Banner zu sehen und steht auch davor, das erregt Aufmerksamkeit!“
Postkarten, Kalender & Notizblöcke
Sabines Bachelorarbeit enthielt 2014 eine Fotoserie mit Marina. „Ich wollte, dass sie, andere Menschen mit Down-Syndrom und generell Menschen mit Behinderungen anders dargestellt werden.“ In der Aktion LASS MAL WIR SEIN setzt sie das seit 2021 fort. Jedes Jahr gestaltet Sabine ein Magazin mit Fotos von Menschen mit Down-Syndrom, Auflage 10.000 Stück. „50 Firmen finanzieren den Druck und legen das Heft am Welt-Down-Syndrom-Tag ihren eigenen Bestellungen bei, wie auch wir.“ Auch diese Verbindung von Kunst und Wirtschaft soll Sichtbarkeit schaffen und Menschen ins Gespräch bringen. 2021 wurde MARI & ANNE als eines von 32 Unternehmen deutschlandweit als Kultur- und KreativpilotInnen ausgezeichnet. 2022 erhielt die Familie den EDITION F Award für mehr Mut in der Kategorie Wirtschaft.
„Wir sind sicher eine Ausnahme und privilegiert“, findet Sabine Lewandowski. Als Vorbild für andere Elterninitiativen sieht sie MARI & ANNE nicht unbedingt. Nicht jede Familie kann eine Firma gründen, um einen Angehörigen mit Beeinträchtigung auf den Arbeitsmarkt zu holen. „Ich empfehle, sich an junge, aufgeschlossene Unternehmen zu wenden und es erstmal mit einem Praktikum zu versuchen. Und der Zeitpunkt muss stimmen. Als Marina damals in die Werkstatt kam, wäre sie noch nicht so weit gewesen, woanders zu arbeiten.“ Und viele Werkstätten sind inzwischen ganz professionell aufgestellt, um Überleitungen auf den Arbeitsmarkt zu schaffen. Nicht immer muss man den Arbeitsplatz also selber gründen.


Fazit
Familien wollen mit Firmengründungen Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt schaffen, die zu ihnen und ihren Fähigkeiten passen. Sie sollen auch neue Chancen ergreifen können, sich weiterentwickeln und dazugehören. Und manchmal glückt dies auch ganz gut. Aber Aufwand und Bürokratie einer Unternehmensgründung um Arbeitsplätze anbieten zu können, sind aber immens. Man muss das wirklich wollen, sich mit BWL auskennen und ins finanzielle Risiko gehen. PAULkocht! und MARI & ANNE bewähren sich durch ihr großes Engagement und tragfähige Expansions-Ideen am Markt. Die Mitarbeitenden mit Behinderung haben ihren Platz gefunden. NachahmerInnen sind erwünscht! Aber vor allem sind bestehende Unternehmen gefragt, die Inklusion verwirklichen: Sie haben die finanziellen Mittel, um Beschäftigten mit und aus der WfbM heraus maßgeschneiderte Arbeitsplätze zu bieten.
Kontakte
Sybille Hermeling-Krön
PAULkocht gGmbH. Kaarst
02131 450 8930
shk(ät)paul-kocht.de
www.paul-kocht.de
Sabine Lewandowski
MARI & ANNE, Kitzingen
Naturkosmetik mit Weitblick
09321 3901588
info(ät)mariundanne.com
www.mariundanne.com